Meine persönlichen Höhe- und Tiefpunkte aus dem Wahlkampf 2021

Was mich beim Wahlkampf besonders beeindruckt hat

Für mich war der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 der erste, den ich selbst für ein Mandat geführt habe. Zuvor habe ich 2005 mal die WASG in Heidelberg zur Bundestagswahl unterstützt und 2019 DIE LINKE bei der Kommunal- und Landtagswahl in Leipzig. Ich habe viel erlebt und gelernt und möchte einige Eindrücke mit euch teilen.

Was ich feiere

  • Zu Beginn des Wahlkampfs kannte ich einige Stadtteile in meinem Wahlkreis schlecht. Ältere Genoss:innen und Sympathisantinnen haben mich dann mit Auto und Rad durch Paunsdorf, Schönefeld-Ost, Burghausen-Rückmarsdorf, Lützschena-Stahmeln und Lindenthal geführt. Das waren spannende und berührende Tage. Nie hätte ich alleine so viel über diese Ortsteile und besonders ihre Geschichte erfahren.

  • Nachdem ich 2018 in die Partei eingetreten bin, habe ich zusammen mit einem guten Freund und Genossen die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Klimagerechtigkeit in und bei der LINKEN initiiert, die seitdem stabil läuft. Diese BAG hat mit dafür gesorgt, dass die Klimaziele in unserem Wahlprogramm so prominent sind. Das war nach dem Bundesparteitag im Juni klar, und wurde von uns im Wahlkampf viel genutzt.

  • Weil DIE LINKE keine sehr finanzkräftige (und noch dazu eine sparsame) Partei ist, musste ich für einen modernen und auch ambitionierten Wahlkampf mit beispielsweise Videos, eigenen Veranstaltungen und Großflächen selber noch Gelder einwerben. Wir haben uns als mittleres Ziel 15.000€ gesteckt und die haben wir erreicht!

  • Das größte und am besten organisierte Event unseres ganzen Wahlkampfs war der Plakatierungsstart in der Nacht vom 13. auf den 14.8. mit 70 Personen. Bei leckerem Essen und guter Musik fädelten wir erst gemeinsam im Arthur-Bretschneider-Park die Kabelbinder in die Plakate, um dann in 25 Teams aufgeteilt 3.500 Plakate zu hängen. Die Stimmung war gut, es hat allen Spaß gemacht – und natürlich waren wir stolz auf diese erfolgreiche erste Welle. Katja Kipping, die nach einem Wahltermin einen kurzen Abstecher machte, meinte, dass sie nirgendwo sonst so eine große Aktion gesehen hätte.

  • Durch ein Neumitgliedertreffen lernte ich Jo von Blütenstaub kennen, die Poetry Slams organisiert. Sie hat dann zwei davon für den Wahlkampf organisiert. Der erste war bei schönstem Wetter auf der vollen Sachsenbrücke, und das Publikum war begeistert.

  • Wir organisierten eine eigene Veranstaltungsreihe zum sozial-ökologischen Umbau, die ziemlich gut lief. Einige Podien mussten wir nach drinnen verlegen, und manchmal kamen zwar 20 Leute, aber wir kannten alle. Insgesamt war sie aber gut besucht, mit vielen spannenden Diskussionen. Die letzte war im Rabet (Park neben der Eisenbahnstraße) zusammen mit dem SDS zur Frage: „Systemwechsel mit links?! Warum Klimaschutz nicht nur grün ist“. Neben mir hat Timo gesprochen, 19 Jahre, früher bei Fridays for Future, jetzt beim SDS – weil FFF zu reformorientiert ist und zu wenig kapitalismus-kritisch. Timo hatte eine so gute und klare Analyse der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, das hat mich schwer beeindruckt. Mit 19! Könnten sich 90% der Politiker:innen ne Scheibe von abschneiden.

  • In Paunsdorf fährt Mitte September ein älterer Herr auf dem Rad an unserem Infostand vorbei. Er dreht extra um, um uns zu loben. „DIE LINKE, wie gut, dass ihr hier seid! Ihr legt den Finger in die Wunde des Kapitalismus!“

  • In Gohlis am Infostand vor einem Kaufland stellte sich kurz vor der Wahl ein Mann mittleren Alters an, um ein Gespräch mit mir zu führen. Geduldig wartete er, während ich eine Nichtwählerin vom Wählen zu überzeugen versuche. Anschließend meinte er: „Ich wollte mich nur bei Ihnen bedanken. Ich ziehe den Hut vor allen, die den Beruf des Politikers wählen. Sie müssen so viele Kompromisse aushandeln, das sehen die meisten Leute gar nicht. Sie tragen dabei viel Verantwortung auf Ihren Schultern. Dafür wollte ich meinen Respekt aussprechen.“

  • Unsere Wahlparty! Obwohl DIE LINKE nur 4,9% holte, der Einzug nur über drei Direktmandate gelang und ich das Direktmandat nicht gewann, hatten wir eine großartige Party. Es waren um die 100 Leute da und die Stimmung war super. Wir feierten uns, unsere Begegnungen und unseren Wahlkampf.

  • Zwei Tage nach der Wahl machten wir ein Auswertungstreffen, wo 25 Leuten kamen und die Stimmung trotz des desaströsen Ergebnisses kämpferisch und konstruktiv war. Die Menschen waren motiviert für Wahlkampf und Politik – das ist doch mal ein grandioser Wahlausgang.

Was ich bedauere

  • Mein Eindruck ist, dass in den Medien lange über den langweiligen Wahlkampf lamentiert wurde, obwohl es viel Spannendes zu berichten gegeben hätte. Es wurde wenig aus der Fläche und der Breite der Parteien berichtet, ich hab viel zu wenig über neuere Kandidierende und außergewöhnliche Wahlkämpfe gesehen, gehört oder gelesen. Obgleich auch in linken Zeitungen immer wieder bedauert wurde, dass es zu wenig um Klimapolitik und wirklich zukunftsweisende Konzepte ging, haben sich wenige Journalist:innen für unsere Pressearbeit interessiert. Ich weiß, das liegt an vielen Faktoren – unter anderem deren Zeitmangel, unserer fehlenden Prominenz und der Randständigkeit der LINKEN. Dennoch fand ich es enttäuschend.

  • In der letzten Woche tourten wir nochmal durch alle Stadtbezirke. In Alt-West stellten wir uns auch an die Merseburger Straße am Löwencenter. Das ist für mich ein totaler Unort – nur Straße, Beton, Einkaufszentren, Konsum. Nichts Gewachsenes, kein Ort zum Verweilen und trostlos. Wir wurden aus Autos heraus mehrmals beschimpft. Kein Ort, um Menschen für Politik zu begeistern.

Was mich getragen hat

Ich glaube, ich habe nie so viel gearbeitet wie in diesem Wahlkampf. Ich hatte in meinem Berufsleben schon mehrere stressige Phasen, besonders für die Organisation von Großveranstaltungen. Die waren aber nie so lange, so divers in ihren Anforderungen und nie mit so viel Unterwegs-Sein verbunden. Daher besteht schon die Frage, wie ich das durchgehalten habe – und wie das Berufspolitiker:innen jahrelang machen.

Was mich getragen hat:

  • Das hab ich schon mehrfach betont, aber muss es immer wieder sagen: Mein tolles Team. Wir haben uns immer gegenseitig unterstützt, uns konstruktiv weitergebracht, viel gelacht und gemeinsam versucht, Vieles möglich zu machen. Niemand kannte alle vorher, doch wir sind toll zusammengewachsen. Alle haben ihre Aufgaben mit großer Eigenverantwortung übernommen und sich eingebracht, wie sie konnten.

  • Neben dem Kernteam und den besonders Aktiven gab es ein breites Netzwerk an Menschen, die immer mal wieder mitgemacht haben. Sie kamen zu Veranstaltungen, Aktionen und Momenten mit besonderen Aufgaben. Dabei waren viele Personen aus dem SDS und der linksjugend sowie Mitglieder aus den Stadtbezirksverbänden. Auf sie war Verlass und sie kamen mit immer neuem Schwung.

  • Ganz wichtig ist natürlich, Grenzen zu setzen und Ausgleich zu suchen. Ich habe konsequent Sonntag frei gemacht. Was für mich mit einer Sechs-Tage-Woche belastend genug war, wurde von denjenigen mit Wahlkampferfahrung im Team oft gelobt. Sonntag frei im Wahlkampf schien etwas Besonderes. Und ich hab mir Termine für Sport freigehalten. Und natürlich: Wo möglich, Zeit mit meinem Partner, mit meinen Freund:innen und meiner Familie zu verbringen. Kam trotzdem zu kurz, tat aber immer gut.

  • Räume zu haben, in denen ich mich zeigen kann. Also insgesamt auch Schwäche eingestehen, im Team mal weinen und Überforderung nicht verstecken. Aber eben regelmäßig auch mit Menschen sprechen, die mich schon lange kennen und mit denen ich meine Sorgen und Nöte teilen konnte.

  • Erfolge feiern!

Alles in allem war das eine der herausfordernsten aber auch spannendsten Zeiten meines Lebens. Ich mach jetzt erst mal eine Pause und denke nach, wie ich im Konzeptwerk, in der Klimagerechtigkeits-Bewegung und in der LINKEN weiter Politik mache. Bis bald!