Was lief schief? Einige Gedanken zur Bundestagswahl 2021

Seit dem fatalen Wahlergebnis der LINKEN am 26.9.21 wird viel über dessen Ursachen diskutiert. Das wird bestimmt noch eine Zeit lang so gehen – noch sind nicht alle Analysen gemacht, alle Diskussionen geführt, alle Texte geschrieben. Ich möchte hier einen Zwischeneindruck von meiner Seite teilen.

Gründe bei der LINKEN

Wie Ulrich Schneider (Geschäftsführer Paritätischer Gesamtverband) in seinem offenen Brief deutlich machte: Es fehlt der LINKEN an Geschlossenheit und Entschlossenheit. Die Wähler:innen wissen aktuell nicht, wie die Kräfteverhältnisse sind und ob sie mit ihrer Wahl eher die Leute um Sahra Wagenknecht oder um Katja Kipping stärken. Nachdem Wagenknecht fünf Monate vor der Wahl ihr Buch „Die Selbstgerechten“ veröffentlichte, in dem sie einem großen Teil ihrer Partei den offenen Kampf ansagt, war dieser Streit, der spätestens seit der Bundestagswal 2017 tobt, auch endgültig nicht mehr einzufangen. Die Spitzenkandidat:innen und Parteivorsitzenden haben sich zwar sehr bemüht, aber dieser Richtungsstreit spaltet die Partei. Er ist parteiintern leider nur schwer zu lösen, weil Wagenknecht nicht mehr auf Parteitagen oder Fraktionssitzungen erscheint, seit sie nicht mehr Vorsitzende ist. Alle Klärungen finden somit ohne sie statt, die ihre Macht auch aus Einladungen zu Talkshows, vollen Marktplätzen und Buchverkäufen sowie ihrer Basis in NRW zieht, und nicht aus der Partei.

Noch dazu ist unklar, zu was die Partei entschlossen ist. Einerseits bezeichnet sie sich als kritische Stimme zum herrschenden System, dem Kapitalismus, andererseits wirbt sie offensiv für eine rot-grün-rote Regierung. Sie warb mit einem „CDU raus aus der Regierung – nur mit uns“ und übersah dabei die Möglichkeit einer Ampel. Gleichzeitig bleibt unklar, wie die großen Ziele von R2G gegenüber der kapitalistischen Klasse durchgesetzt werden sollten. Dies bräuchte einen starken politischen Willen, einen ambitionierten Plan, Kampfbereitschaft und Mut – was dieses Bündnis nun wirklich nicht auszeichnet (s.u. Raul Zelik).

Gründe in diesem Wahlkampf

Das führt zu der Frage, warum die Wähler:innen SPD und Grünen mehr zutrauten als der LINKEN – denn an diese haben wir am meisten Stimmen verloren. Viele Menschen haben die Grünen gewählt, weil Klimapolitik für sie absolute Priorität hat. Den Grünen wurde am ehesten zugetraut, Klimapolitik in einer Regierung stark zu machen. Auch wenn die Klimaziele der Grünen nicht für einen 1,5-Grad-Pfad ausreichen und an der Illusion eines grünen Kapitalismus ausgerichtet sind, so wirkt das Image der Ökopartei hier. DIE LINKE hat zwar höhere Klimaziele aber wenig öffentliche Wahrnehmung zu diesem Thema und wenig Personal, welches dieses vertritt (s.u. Konzeptwerk Neue Ökonomie). Auch wenn die Grünen am Ende hinter ihren Zielen blieben, so hat die Klimawahl ihnen Auftrieb gegeben. (In Leipzig weniger als an anderen Orten.)

Gleichzeitig haben die meisten Wähler:innen die SPD gewählt, um Laschet zu verhindern und eine Regierung ohne die Union zu ermöglichen. Nachdem die stärkste Fraktion den/die Kanzler:in stellt, macht die taktische Wahl der SPD statt der LINKEN für eine Regierungsablösung mehr Sinn. Außerdem war die SPD und Scholz der lachende Dritte zwischen Laschet und Baerbock mit ihren kleinen und größeren Pannen. Laut Infratest dimap haben 51% der SPD-Wähler:innen die Partei wegen Scholz gewählt.

Noch dazu hat die Tatsache, dass erstmals drei Parteien eine:n Kanzlerkandidat:in aufgestellt haben und diesen durch die Trielle prominent Raum gegeben wurde, zu einer Verengung auf diese drei Parteien geführt. An Infoständen haben Leute teilweise gefragt, was sie machen sollen, wenn sie nicht diese drei wählen wollen. Oder warum wir keine:n Kanzlerkandidat:in haben. Darunter gelitten hat meiner Ansicht durch die Repräsentanz zweier linker Parteien am stärksten DIE LINKE.

Gründe im System

Darüber hinaus gibt es selbstverständlich systemische Gründe, weshalb es für DIE LINKE schwierig ist, in Wahlen gut abzuschneiden. Wir leben im Spätkapitalismus, in dem der Markt fast jeden Lebensbereich durchdringt und die Menschen nach 40 Jahren Neoliberalismus und Individualismus wenig an kollektive Veränderung glauben. Die Erzählung der LINKEN eines demokratischen Sozialismus, den wir gemeinsam erkämpfen, steht dem Grundnarrativ unserer Gesellschaft komplett entgegen. Wir kämpfen also gegen den Mainstream und das ist mühsam und zäh. (Das ist umgekehrt ein Erfolgsgrund für die Grünen, denn sie haben sich dem Mainstream angenähert, während ökologische Modernisierung und grüner Kapitalismus und damit ihre Positionen hegemonial werden. Hier ist der Widerspruch zwischen Partei und Mehrheit der Gesellschaft also geringer bis fast ausgeräumt.)

DIE LINKE ist außerdem die einzige Partei, die den Einfluss auf Parteien durch Unternehmensspenden als so problematisch ansieht, dass sie diese ablehnt. Wir sind komplett durch Mitglieder und Privatspenden finanziert und dadurch viel ärmer als andere Parteien. Dadurch haben wir auch weniger Gelder für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing.

Wichtig ist auch, dass die Menschen, die am meisten unter den aktuellen Verhältnissen leiden, meist Nichtwähler:innen sind. Entweder, weil sie so enttäuscht sind und sich so in Stich gelassen fühlen von der Politik, dass sie von ihrer Wahl nichts erwarten. Viele kennen das Programm der LINKEN nicht, oder trauen der LINKEN nicht zu, dass diese an der Regierung etwas verändert. Auch Menschen unserer Gesellschaft ohne deutsche Staatsbürgerschaft dürfen nicht wählen. Das betrifft 10 Millionen Menschen, in Berlin sogar jede:r dritte Bewohner:in!

Gleichzeitig ist das Bild, das Medien über unsere Gesellschaft und auch über Politik und Parteien zeichnen, verzerrt. Gerade in den privatrechtlichen Fernsehsendern und den Medien des Axel-Springer-Konzerns mangelt es an gut aufbereiteten Informationen und distanzierter Berichterstattung. Stattdessen werden Einzelereignisse zu Skandalen hochstilisiert und das Bild einer verrohten, gefährlichen Gesellschaft gezeichnet. Law-and-Order-Politik ist darauf dann die vermeintlich passende Antwort. Noch dazu wird DIE LINKE zu Talkshows weniger oft eingeladen (z.B. Anne Will eine Woche vor der Wahl zu Klima) oder bekommt weniger Raum bzw. suggestive Fragen (z.B. Janine Wissler in der Achterrunde kurz vor der Wahl). Es ist also schwerer, mit unseren Inhalten durch und an die Wähler:innen zu kommen.

Die Spaltung unserer Gesellschaft, Grundlage der herrschenden Verhältnisse und des Kapitalismus, angefeuert durch die Medien und den Aufstieg der AfD, wurde auch in diesem Wahlkampf deutlich. Ich habe so viele Menschen getroffen, welche die „Ausländer“ oder die Arbeitslosen als das Grundproblem unserer Gesellschaft sahen – nicht Rassismus, Ausgrenzung, Hartz IV, zu niedrige Löhne oder den Kapitalismus. Statt auf die Reichen und das System zu schimpfen, sehen Viele die Ursachen ihrer Problem bei „den anderen“, denen es genauso oder noch schlechter geht. Nach oben buckeln, nach unten treten. Argumenten hierzu waren die meisten Menschen wenig zugänglich, führen sie wohl so selten eine Auseinandersetzung und sind sie so frustriert über ihr Leben. Wenn ich klar gemacht habe, dass an den 800€ Rente die CDU, Rentenreformen, Vernachlässigung des Osten, zu niedrige Löhne etc. schuld sind, so erwiderte die arme Frau, dass ihre Nachbarin mit Kopftuch aber scheinbar mehr hätte. Argumente vs. Bauchgefühl und Anekdoten – das ist nicht im Wahlkampf zu lösen. Dafür braucht es massive Umverteilung, verbindende Klassenpolitik und mehr Begegnungsräume (s.u. Schindler, Köster).

Nicht zuletzt gibt es einen starken Unterschied zwischen dem, was Leute wissen und dem, was Leute tun. Das nennt sich „kognitive Dissonanz“ und beschreibt, warum Leute weiter SUV fahren, obwohl sie wissen, wie klimaschädlich das ist. Harald Welzer beschreibt auch unsere Wahlen so: Die Menschen wählen die Parteien, welche ihnen weismachen, dass sie das Problem schon im Griff hätten. Damit kann mensch es sich einfach machen, sich weiter zurücklehnen, und muss nicht viel ändern. Die Wähler:innen wissen im Grunde, dass es so nicht weitergehen kann – aber solange es Parteien gibt, die das Gegenteil versprechen, werden sie diese eher wählen als solche, die für Veränderung stehen (s.u. Welzer).

Gründe in Leipzig

Neben diesen kleinen und großen Ursachen gibt es natürlich auch Dinge, die speziell im Leipziger Norden gelten. Zunächst ist der Leipziger Norden konservativer, auch weil ländlicher, als der Süden. Es ist auch also ungleich schwerer, diesen Wahlkreis zu gewinnen.

Gleichzeitig gibt es hier immer wieder wechselnde Kandidierende auf Seiten der LINKEN, die – wie ich auch selbst – geringe Bekanntheit in der Stadt haben. Mit der Verteidigung des Direktmandats im Leipziger Süden und dessen Erklärung zum strategischen Wahlkreis sind auch ungleich mehr Ressourcen in diesen Süd-Wahlkampf geflossen. Darüber hinaus war in meinem Wahlkampf-Kernteam keine Person mit Erfahrung im Bundestagswahlkampf. Die Menschen waren schon in verschiedenen Wahlkämpfen aktiv, aber der Bundestagswahlkreis ist größer und der Wahlkampf dadurch herausfordernder.

Ich hoffe, hier einige meiner Meinung nach relevante Gründe für das Versagen der LINKEN bei den Wahlen aufzuzeigen. Wie gesagt, keinesfalls abschließend, eine subjektive Auswahl. Was daraus zu lernen ist und wie wir DIE LINKEN in den nächsten Jahren neu aufstellen. Dazu an anderer Stelle mehr.

Quellen und Leseempfehlungen